WaRis - Tiroler Filmarchiv

Wie der Film nach Thiersee kam...

Das Passionsspielhaus um 1946

1946 beginnt der Innsbrucker Regisseur und Produzent Eduard Wieser mit den Dreharbeiten für den ersten österreichischen Nachkriegsfilm „Wintermelodie“. In den Hauptrollen spielen neben dem berühmten Skirennfahrer Rudi Matt die Schauspieler Franz Eichberger, Rudolf Brix, Ilse Peternell und der junge Dietmar Schönherr die Hauptrollen. An der Kamera ist der erfahrene Walter Riml ein Garant für exzellente und präzise Aufnahmen. Die Außenaufnahmen werden in der Umgebung von Innsbruck, Seefeld, St. Anton, Kitzbühel, und Zürs a. Arlberg abgedreht. Für die Innenaufnahmen kann jedoch kein geeignetes Studio gefunden werden. Während eines gemütlichen Beisammenseins am Abend überlegt das Team wie es nach den Außenaufnahmen weiter gehen sollte. Der Kufsteiner Hubert Koffou, für den Film als Skifahrer und Träger engagiert, erwähnt das leer stehende Passionsspielhaus in Thiersee. Kurz entschlossen besichtigen Regisseur Wieser, Kameramann Walter Riml und Hubert Koffou das Gebäude und schnell stellt sich heraus, dass die Größe des Hauses für Studioaufnahmen hervorragend geeignet ist.

Doch während des Krieges zunächst als Gefangenenlager für ukrainische Zwangsarbeiter missbraucht und in den letzten Kriegswochen Materiallager der SS für den Aufbau der „Alpenfestung“, befindet sich das Passionsspielhaus 1946 in einem desolaten und maroden Zustand.

Unter der Voraussetzung, dass es Hubert Koffou, inzwischen lokaler Verbindungsmann des Filmteams, gelingen wird das Haus rasch instand zu setzen und filmreif auszustatten, entschließt sich Eduard Wieser das Gebäude für die Innenaufnahmen des Films anzumieten.

Der damalige Thierseer Bürgermeister Mairhofer erkennt die großen Möglichkeiten für die Gemeinde, verspricht doch ein ortsansässiges Filmatelier Arbeit und Brot für viele Menschen. Und es gelingt dem Bürgermeister eine abweisende Haltung seiner Bevölkerung gegenüber den „Filmfritzen“ gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Mit herausragendem Engagement dieses Bürgermeisters, des Thierseer Zimmermanns und früheren Christusdarstellers bei den Passionsspielen, Alois Kaindl, den Kufsteiner Firmen Jäger und Eder und der Wörgler Faserplattenfabrik wird in kürzester Zeit aus dem Passionsspielhaus ein vollwertiges Filmstudio.

Die beteiligten Firmen stellen das benötigte Holz, Nägel, Schrauben und Faserplatten für den Innenausbau auf Bezugsscheinen zur Verfügung, ja sogar ein Geldvorschuss wird gewährt. Durch die Unterstützung des französischen Generals Emile Béthouart und des damaligen Landeshauptmanns Weißgatterer kann der Vorschuss später zurückgezahlt werden.

Doch die Schwierigkeiten sind ungeheuer. Es mangelt einfach an so vielen notwendigen Dingen in diesen ersten Nachkriegsjahren. Später erzählt Regisseur Eduard Wieser, dass nur der grenzenlose Optimismus und fanatische Arbeitswille aller seiner Mitarbeiter und die Unterstützung der einheimischen Firmen sowie der Bevölkerung Thiersees die Realisierung dieses Films überhaupt erst möglich gemacht haben.

Werberatschlag zum Film

 

Und so gelingt das fast Unmögliche:

 

In Wien feiert am 14. August 1947 die erste Tiroler Nachkriegsfilmproduktion, die „Wintermelodie“ ihre Weltpremiere.

In der Folgezeit wird das Atelierweiter ausgebaut. Mit seinen zahlreichen technischen Neuerungen ist es die modernste Filmaufnahmehalle Österreichs. Ein neu errichteter Anbau enthält Garderobe- und Schminkräume, in einem weiteren wird eine Gaststätte eingerichtet. Ateliers für Filmarchitekten und -handwerker, für Bildhauer, Tischler und Maler entstehen. Die ehemaligen Kulissenräume werden zu Aufenthaltsräumen für die Schauspieler umgebaut. Dabei werden fast die gesamten Handwerksarbeiten an das einheimische Gewerbe vergeben und alleine in Thiersee beträgt das Auftragvolumen dafür 800.000 Schilling.

In diesem hochmodernen Tiroler Filmatelier werden insgesamt achtzehn abendfüllende Spielfilme produziert. Darunter befinden sich so bekannte Filme wie „Das doppelte Lottchen“, „Eroica“ oder „Blaubart“. Französische, englische, deutsche, österreichische und schweizerische Produktionsfirmen sind an den verschiedenen Filmen beteiligt.

Und wie von Bürgermeister Mairhofer vorausgesehen, finden viele Menschen als Statisten, Techniker, Bürokräfte oder Helfer Arbeit beim Film. Bis ca. 1950 wird in der Gemeinde eine Summe von rund 8 Millionen Schilling an Löhnen für Arbeiter, Angestellte und Komparsen, in Beherbergungs- und Gaststättenbetrieben umgesetzt.

 

Dennoch ist plötzlich alles aus..

Mitte 1952 wird die aufstrebende Filmgemeinde Thiersee mit ihrem modernen Atelier, trotz der getätigten Investitionen in Millionenhöhe, von der ÖFA (Wienfilm) zugunsten ihrer Wiener Studios aufgegeben. Das Tal, in der Mitte der Landeshauptstädte Innsbruck, Salzburg und München gelegen, gerät als Filmregion in Vergessenheit. Die Gemeinde spielt fortan wieder "Passion".

 

Doch das „Filmatelier am See“ ist ein Schatz für Filmhistoriker und Cineasten.

Berühmte Schauspieler. Bekannte Regisseure und Kameramänner. Internationale Verleih- und Produktionsfirmen. Filme die Geschichte geschrieben haben.

Das ist die Geschichte des einstigen Tiroler Filmateliers.

 

 

Aus: Helma Türk, "Filmland Tirol" - Eine Reise durch Tirols Filmgeschichte, 2007

© Helma Türk

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