Während meiner vielen Recherchen zur Geschichte des Tiroler Filmateliers begegneten mir auch die vielen, manchmal nur noch bruchstückhaften Erinnerungen an die frühere Filmzeit. Diese Skandälchen und Anekdoten gehören für mich dazu so wie das "Salz in der Suppe". Damals empörte sich so mancher brave Bürger über das scheinbar "lasterhafte" Leben der Filmleute. Heute lesen wir die Geschichten mit Vergügen und lernen, dass sich im Laufe der Zeit vieles relativiert. Helma Türk
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Brigitte Horney (Schauspielerin) Ein „haariger“ Riss oder Not macht erfinderisch...
Über Brigitte Horney erzählt der Verbindungsmann Hubert Koffou in einem Interview. Sie sei eine wunderbare Frau gewesen. Liebenswert, unkompliziert und stets freundlich zu jedermann.
Im Film „Die Frau am Weg“ spielt Brigitte Horney neben Heinrich Gretler, Alma Seidler, Ursula Lingen und Robert Freitag unter der Regie von Eduard v. Borsody.
Während der Dreharbeiten stürzt die beliebte Schauspielerin unglücklich und zieht sich einen tiefen Riss am Kopf zu. Die Wunde blutet heftig und diese Blutung lässt sich nicht stillen. Man muss dringend etwas unternehmen. Doch was? Denn es gibt weder ein Auto, geschweige denn einen Krankenwagen der die Verletzte in das Krankenhaus nach Kufstein bringen könnte.
Doch es gibt Hubert Koffou und sein Motorrad... Die blutende Brigitte nimmt als Sozia hinter Hubert Platz und schon rasen die Beiden die steile, kurvige Straße von Thiersee nach Kufstein hinunter. Zum Glück erreichen sie das Krankenhaus ohne Zwischenfälle. Doch dort angekommen ist guter Rat teuer. Nahtmaterial, um die Wunde zu nähen, gibt es in dieser Notzeit nämlich nicht.
Da bemerkt Hubert Koffou dass die assistierende Oberschwester Hilde von der Natur mit langem, dickem und vor allem sehr festem Haar ausgestattet ist. Das Nahtmaterial ist gefunden...
Primar Sturm zögert nicht lange und vernäht die Wunde der Schauspielerin mit einigen dieser dicken, festen Haare von Schwester Hilde!
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Maria Chapdelaine (Film) Wenig Schnee und ein schwarzer Schimmel...
Im Januar 1949 kommt die Londoner Everest Pictures Filmproduktion in das Thierseer Atelier um den Film „Maria Chapdelaine“ (auch: „Das träumende Herz“) nach dem gleichnamigen Roman von Louis Hémon zu drehen. Der Roman gilt als Klassiker der frankokanadischen Literatur und wird erstmals 1934 verfilmt.
Diesmal stehen die berühmte Michele Morgan als Maria Chapdelaine, sowie Jack Walting, Kieron Moore und Francis de Wolf in Thiersee vor der Kamera. In der Nähe des Lechnerbauern errichtet das Filmteam aus insgesamt zwölf Häusern und einer Dorfkirche das kanadische Dorf „Peribonka“. Wieder einmal bereiten schlechte Witterungsverhältnisse große Probleme und das technische Personal befindet sich am Rand der Verzweiflung. Zum einen bringen heftige Stürme die errichteten Häuser fast zum Einsturz, zum anderen lässt ein Föhneinbruch den kostbaren Schnee schmelzen. Mühsam verwandelt das Filmteam die Landschaft mit Kreide und Gips in ein Wintermärchen. Zusätzlich werden kleine Restflecken noch vorhandenen Schnees zusammen getragen und auf die Hausdächer geschaufelt um den strengen, schneereichen Winter im kanadischen Dorf Peribonka zu simulieren.
Doch damit nicht genug...
Für einen Ritt durch die winterliche Landschaft schreibt das Drehbuch einen Rappen vor. Dies ist natürlich logisch, denn das dunkle Pferd würde sich im Film von der weißen Umgebung deutlich und markant abheben. Wieder stellt sich ein Problem: Es gibt rund um Thiersee keinen Rappen, nur der Schimmel des Hössbauern steht zur Verfügung. Undenkbar dieses Tier einzusetzen, denn im Film wäre der Schimmel in mitten der weißen Winterlandschaft nicht zu erkennen. Wieder stellt sich die Frage: „Was tun?“ Nun, beim Film ist nichts unmöglich...
Mit schwarzer Ölfarbe wird dem armen Tier ein Anstrich verpasst und schon ist der dringend benötigte „feurige“ Rappe drehfertig!
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Ella Scheele (Kostümbildnerin) Ein „schwimmfähiges“ Abendkleid ...
Frau Scheele arbeitet nach dem Krieg in einem Innsbrucker Kostümverleih und kommt dort in Kontakt mit Regisseur Eduard Wieser der für seinen Film „Wintermelodie“ die passenden Kostüme sucht.
Ella Scheele, die gute Seele bei allen Produktionen und von vielen Schauspielern liebevoll „Mutter Scheele“ genannt, beginnt ihre Arbeit beim Film zunächst als Garderobiere. Doch schon bald wird sich Ella Scheele als ganz großer Glücksgriff erweisen. Unerschöpflich ihre Talente und ihre Fantasie selbst aus minderwertigen Stoffen schöne Kostüme zu schneidern und immer wieder neu umzuändern.
In einem Gespräch mit der Autorin erinnert sich Traudl Sonnendorfer an eine Arbeit ihrer Mutter Ella Scheele für den ersten in Thiersee gedrehten Film „Wintermelodie“:
In einer der großen Schlussszenen des Films soll die Hauptdarstellerin ein Abendkleid tragen. Doch ist 1946 kein Kleid dieser Art aufzutreiben. Improvisationstalent und Fantasie sind gefragt um aus den wenigen Ressourcen ein elegantes Abendkleid zu fertigen. Und natürlich die Schneiderkunst Ella Scheeles!
Sie inspiziert den Fundus auf vorhandene Stoffe, Accessoires und Möglichkeiten und macht sich umgehend ans Werk. Als Oberteil dient ein trägerloser, schwarzer Badeanzug. Da man jedoch auch nicht über einen halterlosen BH verfügt, wird der Busen der Darstellerin mit rosafarbenem Leukoplast „in Form“ gezwungen.
Aus einem Vorhangstoff näht die kreative Kostümbildnerin einen weitschwingenden Rock.
Verbindendes Element zwischen Badeanzug und Vorhangrock: Ein überbreiter, schwarzer „Gürtel“ mit goldener Schließe, gefertigt aus einem alten Gummiband. Et voilà: très chic!
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Dietmar Schönherr (Schauspieler) Zu klein für zwei Knödel...
Im ersten Tiroler Nachkriegsfilm „Wintermelodie“ erhält der junge Dietmar Schönherr seine erste Filmrolle. Er ist gerade 20 Jahre alt und spielt den amerikanischen Skifahrer Joe Burton.
Im April 2006 trafen Christian Riml und die Autorin Dietmar Schönherr während seiner neuesten Buchpräsentation in Innsbruck. Man sprach mit dem Schauspieler natürlich auch über die „Wintermelodie“.
Der Künstler erinnerte sich gerne an diese frühe Filmzeit und wusste mit herzlichem Lachen gleich einige Anekdoten zu erzählen. Eine davon sei hier wiedergegeben:
Die schrecklichen Jahre des Krieges waren vorüber, doch wie bekannt herrschte großer Mangel an Allem. Auch die Nahrungsmittelzuteilungen an die Bevölkerung waren knapp bemessen. Das Filmteam hatte es da vergleichsweise gut, denn die französische Besatzungsmacht versorgte die Schauspieler und Mitarbeiter mit Essensrationen.
Lachend berichtete Dietmar Schönherr von den oftmals aufgetischten Knödelgerichten. Geschmacklich an Pressspan erinnernd und grau wie nasse Pappe füllten diese „Knödel“ halbwegs den leeren Bauch. Aber eben nur halbwegs, denn alle hatten immer nur einen dieser Knödel auf dem Teller.
Alle? Nein, nicht alle! Bei den „Portionen“ wurde nämlich eine Ausnahme gemacht...
Der 2.05 m große Kameramann Walter Riml bekam ob seiner Größe von den Franzosen stets zwei der Köstlichkeiten serviert.
Dietmar Schönherr erinnert sich noch heute an seinen knurrenden Magen und seine neidvollen Seitenblicke auf den Teller Walter Rimls der eben immer mit einem Knödel mehr gefüllt war.
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Paul Hörbiger (Schauspieler) Ein Mann, ein See und viele Hechte...
Der legendäre Schauspieler Paul Hörbiger steht in Thiersee für den Film „Der Teufel führt Regie“ vor der Kamera. Hörbiger genießt offensichtlich die Dreharbeiten in der beschaulichen Idylle der Gemeinde. Er liebt es bereits vor Sonnenaufgang auf den See hinaus zu rudern um in der morgendlichen Stille seinem Hobby, dem Angeln nachzugehen.
Die Einheimischen staunen nicht schlecht dass es dem sympathischen Schauspieler immer wieder gelingt kapitale Hechte an den Haken zu bekommen. Dass es einen großen Hechtbestand im See gibt ist zwar allgemein bekannt, doch den Thierseern ist solch ein Anglerglück eher selten hold.
Man fragt nach und Hörbiger verrät den verblüfften Gemeindebürgern seinen Trick:
zunächst habe er das Gelände um den See genau erkundet und festgestellt, dass der Boden im Uferbereich Verformungen und Einbuchtungen aufweise. Unter der Wasseroberfläche hätten sich viele Höhlungen gebildet. Diese ruhigen Höhlungen seien die bevorzugten Standplätze der Hechte. Nun rudert der Schauspieler bis in die Mitte des Sees und wirft seine Angel in weitem Bogen bis in Ufernähe aus. Jetzt braucht es nur mehr ein wenig Geduld und die Hechte, durch keine Bewegungen des Wassers beunruhigt, lassen sich durch die ausgeworfenen Köder täuschen und beißen an.
Der Zeichner Karl Julino hat den Schauspieler bei seiner Freizeitbeschäftigung karikiert.
Es entsteht eine Zeichnung wie sie den großen alten Mann des Films nicht liebevoller und treffender zeigen könnte. Mit wenigen Strichen gelingt es Karl Julino die Gelassenheit und Ruhe, die vollkommen entspannte Konzentration Paul Hörbigers einzufangen.
Anekdoten aus:
Helma Türk, "Filmland Tirol" - Eine Reise durch Tirols Filmgeschichte, 2007
© Helma Türk
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